leben ... sterben

Verstorbene Personen, sofern ihr Leben genügend vergegenwärtigbar ist, beschäftigen mich in hohem Maß. Ich will nämlich so tun, als lebten die Toten nach wie vor. Wäre ich mir einer allgemeinen Totenauferweckung sicher, dann hätte ich später jede Menge Zeit, mit allen Personen, die je gelebt haben, mich noch früh genug ergiebigst zu befassen und sogar auszutauschen. So aber stehen mir nur die Tage, mit etwas mehr Glück die Jahre, mit sehr viel Glück die Jahrzehnte meiner verbleibenden Daseinsfrist zur Verfügung, um wenigstens ein kleines Stück weit die Menschen näher kennenzulernen, deren Wirken nachweislich von erheblicher Bedeutung gewesen ist. Dafür stelle ich die Pflege von Beziehungen mit gleichzeitig lebenden Zeitgenossen ohne Bedauern hintan. Diesen begegne ich in größerer Zahl von selbst schon derart massiv, dass ich hier sowieso immer wieder auf die Bremse zu treten geneigt bin und ihnen oft sagen möchte: Gerne wieder im ewigen Leben, aber jetzt ist mir die Zeit zu knapp und kostbar für die Banalitäten, die im Zusammensein mit euch allzuoft die Oberhand gewinnen! Einen ähnlichen Eindruck habe ich auch immer wieder auf Reisen gehabt, so kultur- und bildungslastig sie ausgestaltet gewesen sein mögen. Und nochmals ähnlich ergeht es mir mit den flüchtigen Programmen der Massenkommunikation, egal ob auf BILD- oder ZEIT-Niveau. In meiner Gelehrtenstube beim Lesen einschlägiger Literatur von den Großen, auch großen Bösewichten, der Vergangenheit zu hören, davon kann ich nicht genug bekommen. Ich verstehe all die "klugen" Leute nicht, die nicht wissen, was sie Sinnvolles mit der Zeit anfangen sollten, wenn sie unendlich viel davon hätten. Die also vom geistigen Leben, von der nach Belieben erfüll- und vertiefbaren vita contemplativa, eigentlich keine Ahnung haben. Meinem Faible für Biographisches liegt ein solches Ahnen zugrunde, das mich ein entschiedener Tod-Feind sein lässt.

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