Den Schweizern sei Dank, dass es im deutschen Sprachgebrauch ein
bündiges Zeitwort für "Wahrheit" gibt. Das ist nicht das vom Wortlaut
her sich sofort anbietende "wahren". Warum nicht? Nun, es gibt Wörter
und Wortbestandteile, die eines wie das andere aussehen und die sich
auch eines wie das andere anhören, aber nicht dasselbe bedeuten. Zum
Beispiel den Ball, der so heißt, weil er, ähnlich wie ein Ballon, die
Form einer Kugel hat, und den Ball, der so heißt, weil auf ihm, ähnlich
wie beim Ballett, zum Tanz aufgespielt wird. Keine geringeren
Unterschiede gibt es zwischen dem Wahren (Zeitwort!), das mit dem
Schützen sinnverwandt ist, und dem Wahren (Eigenschaftswort!) im Sinne
des Vertrauenswürdigen. Ein solcher ist der wahre Freund.
Aber worin
besteht die Tätigkeit eines Freundes mit einer solchen Eigenschaft? Was
für ein Tun ist das Vertrauenswürdigsein? In der schützenden Tätigkeit
des Wahrens erschöpft es sich nicht. Wahrheit hat mehr als mit
Schutzmacht und Wehrkraft mit Echtheit und Güte zu tun. Sie ist weniger
eine Warte, von der aus alles wahr- und in Obhut genommen wird, als ein
Wirtshaus, wo das Möglichste an Gunst gewährt, an Wünschen erfüllt wird.
Das ist das Ziel des Wirtschaftens, des Bewirtens, kurz: des Wirtens.
So kurz fassen sich eben die Schweizer. Das Tun und damit das Wesen der Wahrheit heißt Wirten,
das als ein sich bewährendes Gewähren und Gewährenlassen umschrieben
werden kann. Alles andere, was Wirtsstube, Wirtshaus, Wirtschaft und
Wirtschaften genannt wird, ist unwahr, weil unwirtlich. So viele Sterne
derartigen Betrieben auch vergeben worden sind. Das alles artet sehr
leicht in Günstlingswirtschaft aus, in das Begünstigen der einen durch
das Übervorteilen der übrigen, in das Fälschen des Wahren und
Wirtlichen.
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